Solidarität GmbH statt ich AG
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Vor ungefähr sechs Jahren verabschiedete die damalige rot-grüne Koalition die Agenda 2010, und sich selbst damit von der Idee, den Sozialstaat in die globalisierte neue Weltordnung hinüberzuretten. Nachdem wir inzwischen in dem namensgebenden Jahr angelangt sind, fehlt es nicht an Bestandsaufnahmen, was das Resultat der Reformen nun sei. Eigentlich fällt das leicht und lässt sich kurz mit „Operation gelungen, Patient tot“ zusammenfassen. Denn gelöst ist keines der Probleme, die meisten sind im Gegenteil größer geworden. Grund genug, den Blick auf eine Alternative zu richten die noch weitgehend im Verborgenen gedeiht: Die Solidarität GmbHs (siehe Kasten). Sie treten auf der klassischen politischen Bühne nie auf. Doch bei vielen Arbeitsagenturen hängen die auffälligen Anzeigen:
Arbeitslos? Ja ist die
Welt denn schon fertig ?
Innovatives Unternehmen sucht für
attraktive
selbstbestimmte Arbeit mit hoher
Lebensqualität
verantwortungsvolle, selbstbewusste
MitarbeiterInnen.
Angemessene Bezahlung und viele
Vorteile:
Unterkunft und Verpflegung frei,
Kinderbetreungs- und Altenpflegeeinrichtungen vorhanden, Mitarbeiteranteile am
Unternehmen, gleichberechtigte Beteiligung.
Hinter
diesen Anzeigen steckt nicht etwa ein geschäftstüchtiger Unternehmer, der die
Verzweiflung der Menschen zu Nepp oder Lohndumping ausnutzt, sondern eine neue
Art zu wirtschaften – ja zu leben.
Ich hatte die Gelegenheit mit einer
der BegründerInnen dieser interessanten Gesellschaften zu sprechen. Ich treffe
sie in dem Café, welches zur ältesten und größten Solidarität GmbH in Dresden gehört.
Ein entspannt aufgeräumter Ort, an dem zwei Dinge auffallen: Die meisten Gäste
brauchen gar kein Geld und auch ich werde nur aufgefordert nach Selbsteinschätzung
etwas in die Kasse zu tun. Dafür räumen alle selbst ihr Geschirr in die
Spülmaschine und helfen immer ein wenig
mit. So auch Ioanne, die ich beim Reparieren der Kaffeemaschine antreffe,
obwohl sie, wie sie mir erzählt, Politikwissenschaften studiert hat. Sie passt auch
sonst nicht in die klassischen Klischees: Wie die inzwischen wiedererstarkten
Marxisten, scheut sie sich nicht das Wort Kapitalismus zu benutzen und grundsätzliche
Kritik zu üben. Andererseits wirkt sie aber alles andere als dogmatisch oder
gar ewig gestrig. Für die neue alte Linke hat sie denn auch kritische Worte
übrig: „Obwohl damals mit der Linkspartei endlich wieder Kapitalismuskritik
auf der politischen Tagesordnung stand, waren wir unzufrieden mit dem Bestehenden.
Wir haben in der Anti-Atom-Bewegung, im Widerstand gegen Krieg und Globalisierung
so viele gute Ansätze für herrschaftsfreie Zusammenarbeit kennengelernt. Immer
wieder fragten wir uns, wie wir sie in unseren Alltag übertragen könnten.“ Anfangs
träumten sie noch von der Revolution, doch später änderte sich das: „Irgendwann
merkten wir,dass das
größte Hemmnis das selbst gesetzte Dogma von der Unmöglichkeit des richtigen
Lebens im Falschen ist.“
Was
ist eine Solidarität GmbH ? Eine
Solidarität GmbH ist eine Kooperation von Menschen, die miteinander einen
Gesellschaftsvertrag für ein auf freien Vereinbarungen basierendes Zusammenleben
schließen. Dieser stellt sozusagen die Grundvereinbarung darüber dar, wie die
Menschen gemeinsam selbstorganisiert leben wollen. Darin ist z.B. festgelegt,
wie viel mensch arbeitet, wie mit Eigentum und Besitz umgegangen wird und wie
mensch seine materiellen Bedürfnisse befriedigen kann. Da die
Gesellschaft hierzulande nicht auf freien Vereinbarungen beruht, ist es
notwendig, diese Vereinbarung in bürgerliche Verträge zu fassen. Dies dient der
Klarheit und Sicherheit, insbesondere beim Einstieg und Ausstieg aus der
Vereinbarung. Welche juristischen Konstruktionen dazu gewählt werden ist nicht
festgelegt, obwohl es dazu natürlich Erfahrungswerte gibt. Die Hauptsache ist
das Ziel: Freiheit und Gleichheit. In diesem Sinne ist auch der Zusatz GmbH zu
verstehen: Nicht als konkrete Rechtsform, sondern als Anspielung auf eine
Gesellschaft, die größtmögliche Freiheit
realisiert, aber ohne unnötige Risiken -
Und erst recht ohne die zynische „Eigenverantwortung“ der neoliberalen Gesellschaft
der Ich-AGs. |
Sie hatten
ja immerhin den Vorteil, von den Erfahrungen derer profitieren zu können, die
auf verschiedenen Wegen versucht hatten an die Macht zu kommen: den Revolutionären
und Reformern. John Holloway hatte bereits geschrieben: Die Welt verändern,
ohne die Macht zu übernehmen. Nur wie
sollte das konkret aussehen? Die Perspektivlosigkeit der Linken war und blieb
das wichtigste Fundament des Neoliberalismus.
Die spannenden Aufstände gab es an der Peripherie des
Imperiums, doch neben universal zu verwendenden Ideen wie „Fragend voran“ gaben
die Zapatisten den Menschen in den Zentren auch eine schwierigere Hausaufgabe:
Ihren eigenen Weg zu finden, statt nur solidarisch zu sein. Konkreter als John
Holloway wurde dann Christoph Spehr in seiner „Grundlegung der Freien Kooperation“.
Das alles
prägte die GründerInnen. Ioanne erzählt:„Zugleich hatten wir auch die
Möglichkeit diese Ideen praktisch zu erproben. Denn der Jugendumweltkongress,
ursprünglich von den Umweltverbänden organisiert, entwickelte sich in den
neunziger Jahren immer mehr zu einem Experiment in Selbstverwaltung und freier
Kooperation.“ Im Laufe der Jahre wurde dort ein Modell für die
Selbstorganisation auch größerer Gruppen entwickelt. (siehe Kasten: Vereinbaren statt Entscheiden)
„Dort haben
wir die Erfahrung gemacht, dass sich basierend auf dem Konzept der Freien
Kooperation Zusammenleben und Arbeiten organisieren lässt. Das war so beeindruckend,
dass immer wieder TeilnehmerInnen den Wunsch nach 365 Tage im Jahr Jukss geäußert
haben.“
Dementsprechend sahen sie sich
existierende politische Kommunen an. „Sie
waren interessant, aber irgendwie hatten sie dem Lebensjob der 70er das
Lebensprojekt gegenübergestellt“. Das erschien ihnen zu statisch und zu
abgeschlossen. Trotzdem war aus den Kommuneprojekten viel zu lernen, vor allem,
dass es mehr als Idealismus braucht, um Alternativen zu verwirklichen. Nachdenklich
meint Ioanne;„Eine verlässliche Basis ist nötig, um den Menschen das
Vertrauen zu geben, das sie für Experimente brauchen.“
Schließlich sollen die Menschen sich, mit allem was
sie haben in die neu zu bauende Welt einbringen. Und nicht nur die, die ohnehin
nichts mehr zu verlieren haben.„Uns fehlte stets die richtige Balance zwischen
Offenheit und Sicherheit. Wir wollten unsere Ideale ernsthaft zu leben
versuchen, aber ohne einen alles-oder-nichts-Anspruch und ohne vermeidbare
Risiken.“ Dabei gab
es eine weitere Erfahrungssphäre, von der profitiert werden konnte: Die Welt
der freien Software. Ioanne erklärt: „Deren Selbstorganisationsstrukturen ähnelten
denen, die wir anstrebten. Vor allem aber gab es eine bemerkenswerte Idee: Das
Copyleft - die Idee mittels des Copyrights, welches das geistige Eigentum
privatisieren sollte,
dieses wieder zu befreien.“.
Vereinbaren
statt Entscheiden In den
Solidarität GmbHs gibt es keine Gremien die Entscheidungen fällen, die dann von
Menschen befolgt werden sollen. Stattdessen treffen die Menschen Vereinbarungen
darüber, was sie gemeinsam tun wollen. Diese Vereinbarungen binden niemanden,
der sie nicht freiwillig akzeptiert hat und sie sind auch jederzeit wieder
auflösbar. Dabei wird allerdings erwartet, dass mensch sich nach Möglichkeit an
eventuell vorher vereinbarte Auflösungsbedingungen hält. Ebenso gilt es als rücksichtslos,
Vereinbarungen einfach zu brechen, statt sie zu beenden. Wer solches grundlos
tut, wird Mühe haben, weiterhin Menschen zu finden, die mit ihm Vereinbarungen
treffen wollen. Die Formen der Vereinbarungen können ebenso wie die Methoden
sie zu treffen völlig informell bis sehr förmlich sein. Wichtige Vereinbarungen
werden oft schriftlich dokumentiert, andere kommen sogar ohne Worte zustande.
Ein Beispiel dazu wie Vereinbarungen gefunden werden können, sind
Interessentreffen: Alle denen ein Thema wichtig ist treffen sich und
erarbeiten, falls sinnvoll, im Konsens einen Vereinbarungsvorschlag. Die
anderen können dann dieser Vereinbarung beitreten oder eine andere anregen. Für
Themen, bei denen viele persönlich mitreden wollen, gibt es Methoden, mit denen
auch einige hundert Menschen auf einmal effektiv miteinander Vereinbarungen
erarbeiten können, so etwa die für den Jugendumweltkongress entwickelte „Blüte“.
(www.jukss.de)
Diese Idee
wurde sozusagen in die reale Welt übertragen. „Wir versuchten die Idee einer
Gesellschaft von frei vereinbarenden Menschen in das existierende Rechtssystem
zu übersetzen. Das geht sogar besser als erwartet, solange mensch immer alles
daran setzt, Herrschaft zu verhindern, statt der Herrschaftslogik des Rechts zu
verfallen.“ Damit wurde die gesuchte verlässliche Basis geschaffen. Gleichzeitig
war es damit möglich einen fließenden Übergang zu schaffen. Die Frage lautet
nun nicht mehr:„Bist Du korrekt genug um im Projekt mitzumachen?“ sondern: “Für
welche Intensität von Vereinbarungen
reicht mein Vertrauen in dich?“. Statt ihr Leben mit einem Schlag umzukrempeln,
können sich Menschen nun entscheiden, Teilbereiche ihres Lebens auf eine neue
Basis zu stellen – sowie auch für einzelne Bereichen immer wieder neue Kooperationen
eingehen. Es gab natürlich viele Details zu klären, bevor die erste Solidarität
GmbH gegründet werden konnte. Ioanne zählt auf:„Ökonomische
Modellrechnungen, wie viel Arbeitskraft brauchen wir zur Befriedigung von Bedürfnissen,
welche Rechtskonstrukte nutzen wir wofür? …“
Deshalb gab es Ende 2005 zunächst
ein Open Theory Projekt, in dem das Ganze konkretisiert wurde. Inzwischen haben
sie ein klares Konzept, bei dem die Menschen, die auf ihre Anzeigen antworten, schnell
verstehen worauf sie sich einlassen. Trotzdem kann es sich weiterentwickeln,
denn alle können es für sich verändern, unterschiedliche Gruppen können unterschiedlichste
Formen von Vereinbarungen ausprobieren. Und davon gibt es inzwischen einige,
zum Teil mit mehreren hundert Beteiligten. Eine Statistik darüber führt
freilich niemand, auch wenn sonst in allen Lebensbereichen mit großer Sorgfalt
Neues entsteht. Offenbar gab es bisher kein Bedürfnis danach, denn sonst wäre
es schon längst befriedigt worden. Denn viele der Projekte stehen inzwischen
auf sicheren Beinen und pflegen regen Austausch miteinander. Fröhlich grinsend
bilanziert Ioanne:„Durch die Verlässlichkeit, die das Konzept bietet, können
wir unsere Grundbedürfnisse selbstorganisiert befriedigen und sind nur noch in relativ
geringem Maß auf das kapitalistische System angewiesen“ (siehe Kasten: Subsistenz).
Abschließend sagt sie „Nur wer
erleben konnte, dass eine bessere,
eine freie Gesellschaft möglich ist wird dafür kämpfen! Statt nur dagegen zu
sein, haben uns unsere Wut noch ein bisschen aufgespart,für den
Zeitpunkt wo wir Staat und Kapital wirklich gefährlich werden können.“
Subsistenz
als Basis der Dissidenz Unser Leben hängt vom Funktionieren des
Systems ab, also auch von unserem Funktionieren. Unser Wohlstand ist Resultat
unserer Verstrickung und gleichzeitig ist er unsere Kette, denn wir haben viel
zu verlieren… Freie Kooperationen sind nur möglich,
wenn mensch nicht auf eine spezielle Kooperation angewiesen ist. Christoph
Spehr fordert basierend auf dieser Erkenntnis eine staatliche Grundsicherung.
Diese hängt aber vom Funktionieren des Systems ab, dessen Verbrechen wir kritisieren.
Sie ist nur möglich aufgrund des stetigen Zustroms von Arbeit und Rohstoffen in
die Zentren des Imperiums… Um unsere erzwungene Kooperation mit dem
Kapitalismus einschränken zu können, müssen wir unabhängiger werden, daher ist
Subsistenz ein wichtiger Aspekt der Solidarität GmbHs. Die Grundbedürfnisse
Wohnen und Essen und die dafür nötige Ausstattung werden fast vollständig mit
eigenen Produkten bestritten. Ein Vorteil ist dabei, dass der Kapitalismus, so
effektiv auch seine Technik ist, für die wirkliche Befriedigung menschlicher
Bedürfnisse ineffizient ist. Biologisches Gemüse von jemandem den ich täglich
besuchen kann, statt mit EU-Zertifikat, ist auf dem Markt nicht für Geld zu
haben. Die Menschen werden für den Verzicht an Wegwerfkonsum überaus reichlich
entschädigt: Mit Selbstbestimmung, weniger Arbeitsdruck und individuellen Produkten
die kein Mensch kaufen kann… (Aus einem Analysepapier der
Gründergruppe) |
Inzwischen
nimmt auch die klassische Politik immer mehr Notiz. Vor allem linke Politiker
betrachten den Ansatz mit einer Mischung aus Sympatie und Skepsis. Einige radikale
Gewerkschafter in Betriebsräten angeblich unrentabler Unternehmen denken
bereits darüber nach, diese in Solidarität GmbHs umzustrukturieren statt
weitere Lohnkürzungen hinzunehmen. Anderen gefällt die Sache weniger: Der Bundesarbeitsminister
äußerte sich kürzlich erstmals zur Sache: “Da
hätten wir in Zukunft noch mehr Arbeitslose, wenn die ohne Politiker auskommen.“
gk.